Hype und Gegenhype


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Seit es Massentrends und Hypes gibt, gibt es auch deren Gegenentwicklungen: Reformation und Gegenreformation, Microsoft und Linux, Techno und Neue Deutsche Welle… Nun also auch „Anti-Web 2.0“. Diese Bewegung – niedergeschrieben im „Anti-Web 2.0 Manifesto“ – kritisiert die dem Web 2.0 inhärente Annahme der Demokratisierung, dass „jedermann etwas Interessantes zu sagen hätte“. Wenig überraschend, wird auch wieder ein „alter Meister“ (Adorno) zur Fundierung der Thesen herangezogen: So wird durch Web 2.0 dem guten Geschmack, der per se undemokratisch ist (ebd.), quasi ein Todesurteil gesprochen, da der Ochlokratie (Herrschaft des Mobs und der Massen) Tür und Tor geöffnet wird.

Dass in Communities wie YouTube nicht nur der Hochkultur zugehörige Inhalte ausgetauscht werden, sondern auch Vieles, was der einfachen Unterhaltung der „Massen“ dient, ist sicherlich auch von Web 2.0-Aposteln unbestritten. Dass dies auch über gänzlich „undemokratische“, Web 2.0-ferne Medien (wie bspw. das Privatfernsehen) in bedrückendem Umfang geschieht , wird wohl auch kaum jemand bestreiten. Ob der durch oligarchisch produzierte Medieninhalte verbreitete Geschmack ein grundsätzlich besserer ist, darf also mit einer gewissen Berechtigung bezweifelt werden.

Kritisiert werden im „Anti-Web 2.0 Manifesto“ – wie der Titel bereits nahelegt – die zur Verfügung stehenden Technologien, Mechanismen und die damit einhergehenden Prinzipien aber auf Basis der schlechten Qualität von Inhalten, die im Web 2.0 (auch) vorzufinden ist. Konsequent weitergedacht, müsste auch das Medium Fernsehen aufgrund der Existenz von Formaten wie „Bauer sucht Frau“ und „Dr. Verena Breitenbach“ zum Vehikel des schlechten Geschmacks erklärt werden – und damit von intellektueller Seite grundsätzlich abgelehnt werden. Nun sollte aber (seit Kant – um noch einen großen Namen ins Spiel zu bringen) dem mündigen, aufgeklärten Bürger selbst die Wahl über den Konsum und die Produktion von Medieninhalten überlassen werden. Diese Entscheidung kann im Web 2.0-Kontext höchstwahrscheinlich etwas freier und individueller erfolgen als bei der Auswahl aus einer überschaubaren Anzahl von „geschmackspolizeilich verifizierten“ Inhalten, die uns das Fernsehen oder andere „1.0-Medien“ zur Verfügung stellen.

Im Übrigen sind Communities wie hatebook.com, alleinr.de oder enemybook.info getrennt vom „Anti-Web 2.0 Manifesto“ zu verstehen und zu behandeln. Sie nehmen auf humorvolle Weise Missverständnisse durch das Web 2.0 („Wir sind alle Freunde!“, „Je mehr Kontakte auf facebook ich habe, desto besser geht es mir!“) auf die Schippe und konfrontieren sie mit deren sarkastischen Gegenentwürfen. Dabei nutzen sie allerdings ironischerweise eben genau die Technologien und Prinzipien, die auch die Klassiker des Web 2.0 (wie bspw. facebook) ausmachen (siehe dazu „Einfach mal dagegen sein„).

„Anti-Web 2.0“ kann also offenbar zweierlei bedeuten:

1. Kulturpessimismus: „Diese „neumodischen“ Entwicklungen führen zur geschmacklichen Verrohung und zum kulturellen Niedergang!“

2. Kritische Distanz: „Nehmt nicht alles so ernst – es gibt auch ein Leben außerhalb des Web 2.0!“

  • Andreas Helferich

    Ich kann dem Beitrag nur zustimmen, v.a. in der Kritik am Fernsehen (wobei ich mir nicht so sicher bin, ob man zwischen Privat und Öffentlich-rechtlich trennen muss). Im Fernsehen wie im Web 2.0 scheint zudem eine gewisse Tendenz zu bestehen, sich gegenseitig hochzuloben. Man denke nur an den Film-Film-Film-der Woche (Weltpremiere! Made in Germany natürlich…), oder Stefan Raab, dessen neuester Ausflug in die Primetime natürlich schon Tage und Wochen vorher in allen Sendern der Sat1-ProSieben-Sendergruppe angepriesen, nicht zuletzt auch in angeblichen redaktionellen Beiträgen, die in Wahrheit nichts als Werbung sind.

    Ähnliche Tendenzen hat es, wenn Kommentierkartelle zwischen Bloggern entstehen, man sinnlos Kontakte sammelt (nach dem Motto "ich bin soo toll, ich kenne soo viele Leute") o.ä.

    Allerdings denke ich, dass auch das Web 2.0 nicht den Weltuntergang bedeuten wird. Wie die Analysten von Gartner mit ihrem Hype Cycle schön illustrieren, folgt auf jeden Hype ein Tal der Tränen und erst nach diesem Tal zeigt sich, was sich auf Dauer wirklich durchsetzt… und alles nicht so ernst zu nehmen, ist meistens ein guter Rat 😉

  • Neues muss stets mit Widerständen kämpfen und der Ruf "alles wird immer schlechter" ist ein Klassiker seit Römerzeiten. Für differenzierte Betrachtungen ob nun eher Hype oder Nicht-Hype zutrifft bleibt zudem im Kampfgetümmel oft nur wenig Raum. Oft genug kann man aber den Kritikern und Traditionalisten schlechte Recherche vorwerfen – nur ein Beispiel sind hier die Auslassungen des stellvertretenden Onlineredakteurs der SZ in bezug auf "dieses neue Web 2.0-Zeugs". Thomas Knüwer vom HB hat dies sehr schön analysiert, mit allen weiterführenden Links: http://blog.handelsblatt.de/indiskretion/eintrag.php?id=1625

  • Wo kämen wir denn hin, wenn in unseren Unternehmen jetzt jeder seine Meinung sagen würde? Und die schon jetzt hochbelastete Führungskräfte müssten neben ihren anspruchsvollen Aufgaben nun auch noch ein Zeitbudget dafür einplanen, ja sie sind quasi gezwungen, zu reagieren. Wir machen doch einmal im Jahr eine Mitarbeiterbefragung, da kann sich jeder äussern – sauber nach Themen geordnet und das auch noch anonym!

    Wenn da nicht das Great Place to Work® Institut Deutschland gerade in einem vom Bundesministeriums für Arbeit und Soziales beauftragten Forschungsprojekt u.a. folgendes Fazit gezogen:

    • Die Arbeitszufriedenheit in Deutschland steht noch auf relativ hohem Niveau, weist aber Tendenzen zu einer qualitativen Verschlechterung auf.
    • Ein Anteil von 40 Prozent engagierter Mitarbeiter darf sowohl aus Sicht der Mitarbeiter wie aus Sicht der Unternehmen als unbefriedigend bewertet werden.
    • Mitarbeiterorientierung bzw. eine ausgeprägte Arbeitsqualität wird in den Unternehmen in Deutschland nur von etwa der Hälfte der Beschäftigten erlebt.
    • In Bezug auf das Engagement und die Unternehmenskultur zeigen sich für die meisten Unternehmen deutliche Verbesserungspotenziale.

    Ja klar, auf die Mitarbeiter kommt es an. Aber was machen wir, wenn die Mitarbeiter uns jetzt beim Wort nehmen?

    Oder wo kämen wir denn hin, wenn jeder Kunde frei über seine negativen Erfahrungen mit unseren Produkten oder Dienstleistungen berichten kann? Wir machen doch alle zwei Jahre eine aufwändige, repräsentative Kundenbefragung mit einem renommierten Institut. Und dann werden diese negativen Erfahrungen womöglich auch noch von anderen Kunden gelesen und in ihre Entscheidungsprozesse einbezogen. Für was denken die sich machen wir eigentlich die millionenschwere Kampagne zu den Kernbotschaften von unseren Produkten und Dienstleistungen mit einer angesehenen Medienagentur?

    Web 2.0er ticken anders! In den weltweit 70 Millionen Weblogs (Stand März 2007) steht sicher viel Triviales. Aber auch wenn nur ein Bruchteil an Informationen "brauchbar" ist, dann kommt immer noch ein Vielfaches im Vergleich zum Web 1.0-Zeitalter zusammen.

    Und dann muss man auch noch lesen, dass es so oder so passieren wird, und es somit gar keine ernsthafte Handlungsoptionen ist, sich mit diesem Thema nicht zu beschäftigen.