Wissenstransfer: Check your Mindset!

Mal als Beispiel: die Urlaubsübergabe

Viele kennen vielleicht folgende Situation: Mein Kollege geht in den Urlaub – ich soll ihn vertreten. Wir reden vor seinem Urlaub in aller Kürze über seine Projekte, Probleme und Kunden. Und dann bin ich allein: mit Problemen, von denen er mir nichts erzählt hat, mit Kunden, die etwas völlig anders wollen und Lieferanten, die über Termine reden, von denen ich nie etwas gehört habe. Drei Wochen halte ich das schon durch, aber ich zähle dabei die Tage, bis mein Kollege aus dem Urlaub wieder zurückkommt.

Irgendwann kommt er wieder und ich erzähle ihm, was alles Schreckliches passiert ist. Und was macht er? Er meint nur, dass der Lieferant so was jedes Mal versucht und wegen des Kunden hätte ich nur Frau Müller fragen müssen, die wüsste auch bestens über den Vorfall bescheid. Na toll!

Vor seinem Urlaub hat er mir gegenüber diesen alten Lieferantentrick gar nicht erwähnt. Und dass er mit Frau Müller bei bestimmten Themen zusammenarbeitet, fand er vor seinem Urlaub auch nicht erwähnenswert. Und das, wo ich doch schon mal so schlechte Erfahrungen gemacht habe!

Was ist denn bei unserer Übergabe falsch gelaufen?

Das Problem hat damit zu tun, dass in unseren Köpfen bei unserer Besprechung nur ein kleiner Ausschnitt davon präsent war, was die tatsächlichen Anforderungen für seine Arbeit ausmacht. Ich habe beispielsweise geglaubt, dass er von meinen schlechten Erfahrungen weiß – hat er aber nicht. Er dagegen erwähnte Frau Müller nicht, weil es für ihn so normal war, beim Thema X mit ihr zusammenzuarbeiten und er außerdem annahm, dass wir das auch tun würden. Seine Erwartungen, was in der Zeit seiner Abwesenheit passieren wird, haben sich von meinen Erwartungen erheblich unterschieden. Wir haben nicht darüber geredet, weil wir beide Profis sind. Seine Gewohnheiten und Best Practices für den Fall X kannte mein Kollege ja. Natürlich habe ich auch welche, aber die haben mit seinem Job und seiner Erfahrung leider wenig zu tun.

So haben wir vor seinem Urlaub über einige Fakten gesprochen. Und nicht über den Unterschied unserer

  • Grundannahmen,
  • Erfahrung,
  • Erwartungen/Einschätzungen und
  • Gewohnheiten.

Und das war ein Fehler!

Glaubt man den Lern- und Verhaltenspsychologen, dann reagieren wir auf die Welt zum Großteil „automatisch“ mit Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die aus dem jeweiligen persönlichen Kontext stammen. Was wir an Tipps, Wissen und Erfahrungen aktiv weitergeben, hängt von diesem persönlichen kulturellen Kontext ab.

Mein Kollege und ich hätten uns also vor seinem Urlaub in einer geeigneten, systematischen Weise darüber unterhalten müssen, an welcher Stelle sich unsere Befürchtungen, Grundannahmen und Gewohnheiten unterscheiden, denn dann hätten wir über unsere Netzwerke gesprochen, in der wahrscheinlich Frau Müller aufgetaucht wäre, sein Lieferant eine belustigende Rolle gespielt und die Wünsche des Kunden eine logische Konsequenz seiner persönlichen Kundenbindungsstrategie hätten sein können. So haben wir nur über nackte Fakten gesprochen. Langweilig und ineffizient. Doch wie geht es besser?

Delta-Analysen helfen beim kontextbezogenen Wissenstransfer
Wenn es beim Wissenstransfer darum geht, nicht nur (lückenhafte) Fakten weiterzugeben, sondern Fakten in den kulturellen Kontext der Betroffenen einzubinden, hat es sich bewährt, mit Delta-Verfahren zu arbeiten, die u.a. aus folgenden Elementen bestehen:

  • beide Partner notieren unabhängig voneinander ihre Antworten auf die jeweils gleichen Fragen, von denen die wenigsten auf Fakten fokussieren (Beispiele):
  • Diese Projekte sind noch offen: …
  • Es werden vermutlich folgende Probleme auftreten: …
  • Damit tue ich mich schwer: …
  • Meine Kundenbindungsstrategie lautet: …
  • Folgende Personen sind immer eine große Hilfe: …
  • etc. …
  • Beim ersten Treffen vergleichen sie ihre Ergebnisse.
  • Übereinstimmungen (meist eher wenige) werden schnell abgehakt, ggf. noch einige Fakten geklärt.
  • Spannend sind die Differenzen. Hier kommt es darauf an, ehrlich die Gründe für die unterschiedliche Einschätzung zu finden.
  • Die Diefferenzen sind häufig in unterschiedlichen Mindsets, Gewohnheiten, Grundwerten etc. begründet. Wird man durch Differenzen im Vorfeld systematisch darauf aufmerksam, erweisen sie sich meist als direkter Zugriff auf das unbewusste oder verdeckte Wissen der Beteiligten.

Meist ist die Auswertung überraschend und wird von den Betroffenen häufig als Aha-Erlebnis beschrieben. Die gemeinsame Bearbeitung der Differenzen (Deltas) führt erfahrungsgemäß tief in die Mindsets (Gewohnheiten,  Kultur, Erfahrung und Netzwerk) des zu Vertretenden hinein  und gibt dem Vertreter später auch bei überraschenden Situationen Kontext und Sicherheit. Mindestens jedoch die Sicherheit, im Zweifelsfall die richtigen Personen hinzuziehen zu können und kulturbedingte Fehlentscheidungen zu vermeiden.

Delta-Analysen reduzieren das Unternehmensrisiko bei Jobwechseln

Was bei einer Urlaubsvertretung ein bedauerliches persönliches Unvermögen sein kann, ist bei einer Jobnachfolge eine ganz andere Dimension. Ein Urlaub geht irgendwann vorbei. Doch bei einer Jobnachfolge kann es zu einem ernsthaften Risiko für das Unternehmen werden. Mit Delta-Verfahren bestehen gute Chancen, dieses Risiko zu reduzieren.

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  • Interessante Informationen zum Thema Wissenstransfer, Delta-Analysen und Mindsets am Beispiel einer Urlaubsübergabe.